Burnout? Ich doch nicht, denken viele, die rund um die Uhr aktiv sind. Doch auch, wer nicht in der Lage ist, „Stopp“ zur Arbeit zu sagen, gefährdet sich. Burn-on heisst es, wenn wir uns im Dauerstresszustand befinden. Wir sagen, was das neu definierte Syndrom für Folgen haben kann und wie wir ihm präventiv vorbeugen.
Nur schnell noch… Ein Satz, der das Leben von Sabrina (36) jahrelang am besten zusammenfasste.
„Nur schnell noch die Mails checken“, wenn die Kinder rufen, weil sie endlich mit ihrer Mutter auf den Spielplatz wollen. „Nur schnell noch was kopieren“, bevor es ins nächste Online-Meeting geht. „Nur schnell noch die neuen Daten in die Excel-Tabelle übertragen“ – und dann endlich das Laptop weglegen, um Feierabend zu haben. „Ich war damals gedanklich nie im Jetzt“, erinnert sie sich. „Und so konnte ich natürlich niemandem gerecht werden.“ Sabrina arbeitet als leitende Angestellte, bis vor kurzem 30 Stunden in Teilzeit. Und weil die Stunden ihrem Leistungsdruck gefühlt nicht gerecht wurden, checkte und beantwortete Sabrina ihre Mails deshalb auch ausserhalb der Arbeitszeit: morgens vorm Brotdose-fertig-machen, in der Schlange an der Eisdiele und abends im Bett.
Dazwischen erlebte sie den üblichen chaotischen Familienwahnsinn, den man so hat, wenn zwei kleine Kinder, eine Partnerschaft und ein Haushalt zu managen sind. „Irgendwie war ich stolz, dass ich das alles packte, Karriere und Familie“, sagt sie. „Aber ich war psychisch und physisch dermassen am Limit. Ich weiss nicht, wie oft ich dachte: Bald hast du ein Burnout.“
Burn-on: Ständig arbeiten am Limit
Permanent gestresst und erschöpft – aber ständig am Rotieren: Timo Schiele und Bert te Wildt haben ein Wort dafür gefunden, dass definiert, was Menschen wie Sabrina fühlen: Es heisst Burn-on. „Wir sind darauf gekommen, weil viele Menschen, die zu uns in die Klinik kamen und über ein Burnout klagten, nicht so ganz in dieses Beschwerdebild passten“, sagt Timo Schiele, der leitende Psychologe der Psychosomatischen Klinik im Kloster Dießen am Ammersee. „Das Burn-on-Syndrom beschreibt diesen Zustand, immer kurz vorm Burnout zu sein.“ Denn während Burnout-Patienten und -Patientinnen sich ausgebrannt fühlen, nicht imstande sind, die kleinsten Dinge zu erledigen und ihre Arbeit regelrecht ablehnen, brennen Menschen mit Burn-on-Syndrom wortwörtlich immer weiter, so Schiele: „Sie identifizieren sich nach wie vor stark mit ihrer Arbeit und meistern augenscheinlich ihren Alltag. Aber innerlich befinden sie sich längst im roten Bereich. Auch wenn sie das ungern zugeben.“
Kinder, Karriere, coole Wohnung: Jetzt schnell mal eben alles, bitte schön!
Burn-on sei ein Phänomen unserer Zeit, schreiben te Wildt und Schiele in ihrem Buch. Und auch wenn es noch keine Studien zum Burn-on gibt, dürfte vor allem die Generation der Mittdreissiger bis -vierziger betroffen sein. Denn dort ist das Stresslevel am höchsten – allen voran für Frauen in Beschäftigung. Irgendwie kein Wunder: Frauen bekommen oftmals nicht mehr in den frühen Zwanzigern Kinder, sondern genau in der Lebensphase, in der sie (und ihre Partner oder Partnerinnen) auch beruflich Karriere machen. Wenn dann noch der Hausbau oder Wohnungskauf dazu kommt, ist rappelviel los. Deswegen wird diese Lebensphase auch treffend die „Rush Hour of Life“ genannt.
Work-Life-Balance – wie soll das gehen?
„In meinem Freundeskreis geht es mehr oder weniger allen so“, sagt Sabrina. „Ich dachte also: Was soll ich mich da beklagen?“ Weil Erfolg, Anerkennung und Leistung gesellschaftlich extrem wichtig sind, hinterfragt niemand die Kapazitätsgrenzen – alle machen kollektiv weiter. Und es wird immer schwieriger, sich von der Arbeit abzugrenzen: Homeoffice, Internet und Smartphones machen mittlerweile eine ständige Verfügbarkeit möglich. „Typisch ist dann, die Punkte aus dem Leben zu streichen, die uns wieder ausgleichen“, sagt der Psychologe. Freunde, Sport, Familie kommen immer kürzer. „Meine Kinder merkten das natürlich, ich war viel zu wenig präsent – aber ich wollte beweisen, dass ich meinen Job gut mache“, sagt auch Sabrina.
Und warum bin ich jetzt so unglücklich?
Genau dieser Spagat, im Beruf 100 Prozent und mehr zu geben, aber auch sonst performen zu müssen, begünstigt es, in den Burn-on-Zustand zu rutschen. Was dann passiert? Ein Gefühl der inneren Verzweiflung setzt ein, man fragt sich, warum man nicht mehr zufrieden ist, ist niedergeschlagen, innerlich erschöpft – und macht trotzdem weiter und weiter… Deswegen definiert der Psychologe das Burn-on-Syndrom auch als chronische Erschöpfungsdepression, während das Burnout-Syndrom akut ist. Permanenter Stress verursacht natürlich auch körperliche Beschwerden. Der Daueranspannungszustand zieht massive Verspannungen in Form von Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen nach sich, Schlafprobleme, Tinnitus, kardiale Beschwerden können auftreten. „Manchmal lag ich auf der Couch, um mich zu entspannen. Aber dann fing mein Herz an zu rasen, der Puls wummerte und mein Rauschen im Ohr wurde unüberhörbar“, sagt Sabrina. „Das machte mir Angst. Als ich vom Burn-on-Syndrom hörte, dachte ich, Bingo, das ist es, was ich habe. Und dann habe ich angefangen, etwas zu tun.“
Runterschalten statt weiterbrennen
Es muss gewiss nicht gleich das achtwöchige Schweige-Retreat sein, um gegen Burn-on anzugehen. Rückzug, Meditation, weniger digitale Aussenreize und mehr Achtsamkeit im Alltag können ein Anfang sein. Sabrina hat ihre Stunden reduziert – fürs erste. Die Folgen waren sofort spürbar: „Ich fühle mich so viel lebendiger, weil ich mehr Zeit zum Auftanken habe“, berichtet sie. „Wir haben jetzt zwar weniger Geld, aber wir schaffen das. Und meine Kinder lieben es, dass ich nicht mehr ,Nur-noch-schnell` was machen muss…“
Runter von der Stress-Autobahn:
5 Tipps zur Burn-on-Prävention
- Gönn Dir ein neues Mindset: Es läuft doch. Ich schaff das. Ich will das… Okay, mag sein – aber wie lange noch? Sich eingestehen, dass die Balance zwischen Arbeit, Familie und Me-time ins Ungleichgewicht gerät, ist ein Akt der Selbsterkenntnis. Nicht einfach, aber machbar.
- Gönn Dir Zeit: Abschalten, Pause machen, zu sich selbst finden – und zwar täglich. Ob es dann Yoga, Meditation, ein Waldspaziergang oder die Couch ist, kann jede oder jeder nach Geschmack entscheiden.
- Gönn Dir Freude: Was fehlt auf einmal im Leben? Sich aufzuschreiben, was einen erfüllt (hat), lohnt sich. Ob malen, lesen, puzzeln, baden – Me-time mit freude-erfüllenden Tätigkeiten ist wichtig.
- Gönn Dir Schlaf: Ausreichend Schlaf sorgt für Erholung von Körper und Seele. Nicht einfach, wenn man (kleine) Kinder hat – aber es hilft, sich mit dem Partner/der Partnerin bei den Nachtschichten abzuwechseln.
- Gönn Dir Hilfe: Eine Erschöpfungsdepression muss nicht alleine bewältigt werden. Es gibt jederzeit Hilfe in Form von ärztlicher Beratung oder Therapie.
Awina setzt sich aktiv für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Wir unterstützen junge Eltern wie dich während der Phase, in der alles gleichzeitig zu passieren scheint. Wir sind in eurer «Rush Hour of Life», wo ihr Familie, Partnerschaft, Karriere und noch so viel mehr unter einen Hut bringen möchtet, an eurer Seite – weil wir wissen, dass ihr genau in diesem Lebensabschnitt besonders viel Support brauchen könnt.