«Hey, Mama» Gespräch mit Nadine Jürgensen

Portrait Nadine Jürgensen

Dürfen wir vorstellen?
Nadine Jürgensen ist Journalistin, Juristin und Co-Gründerin von elleXX, der ersten Finanzplattform für Frauen in der Schweiz. Sie engagiert sich als Co-Präsidentin für Gleichberechtigung bei WE/MEN sowie Helvetia ruft! und schreibt seit vielen Jahren zu Gleichstellungs- und Gender Gap Themen.
Nadine ist Mutter von 2 Kindern.

Nadine, du bist eine engagierte Person, ehrenamtlich voll dabei, als Unternehmerin mit einer kürzlich gelaunchten Firma elleXX. Wie organisierst du dich, um alles unter einen Hut zu bringen?
Also, die Frage ist eigentlich falsch. Es müsste heissen, «wie organisiert ihr euch», die Kinder haben ja glücklicherweise auch einen Vater und der ist neben dem Hort, den unsere Kinder drei Tage die Woche besuchen, ein wichtiger Bestandteil zuhause.

Du hast dich für Kinder und Karriere entschieden – warum?
Es war für mich eigentlich nie eine Frage entweder oder – ich bin immer davon ausgegangen, dass beides möglich sein muss. Als junge Mutter bin ich dann aber ziemlich auf die Welt gekommen. Da habe ich gemerkt, dass die Schweiz in Punkto Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich aufholen muss.

Was sind für dich als «Working Mom» im Alltag die grössten Herausforderungen?
Seit die Kinder älter sind und beide im Schulsystem sind, ist es wirklich viel besser geworden. Ich kann allen Müttern mit Kleinkindern Mut machen, sie werden irgendwann selbständiger. Zudem lässt die externe Kinderbetreuung meine Kinder sehr unabhängig und selbstbewusst werden. Früher waren für uns die hohen Kita-Kosten ein Problem, ebenso die starren Arbeitsstrukturen mit Sitzungstermin zu Randzeiten. Von der Situation, wenn plötzlich ein Kind krank war, brauchen wir gar nicht zu sprechen. Dann geriet die ganze Aufteilung zwischen meinem Mann und mir, wer, wann, was macht und wo zu sein hat, durcheinander. Seit Home Office durch die Pandemie salonfähig geworden ist, auch für meinen Mann, können wir Unvorhergesehenes besser meistern.

Es geht nicht immer beides. Wie gehst du damit um, wenn du dich zwischen beruflichen und familiären Verpflichtungen entscheiden musst?
Meine Kinder haben im Zweifel den Vorzug. Den Dienstagnachmittag habe ich für ihre Hobbies reserviert und Moderation, die dann stattfinden, wenn meine Kinder Waldweihnachten feiern oder Weihnachtsmarkt haben, werden abgelehnt. Aber natürlich, momentan arbeite ich sehr viel und die Kinder wissen auch, dass ich nicht immer Zeit habe für sie. Meist können sie sich gut selbst beschäftigen, spielen, lesen oder eine CD hören. Oder sie sind eben im Hort, wo sie viele Freundinnen und Freunde haben und mittags auch verpflegt werden. Das Abendessen findet immer gemeinsam statt – und Vorlesen gibt’s auch jeden Abend. Dieses Ritual ziehen wir jeden Abend durch, auch wenn vielleicht nur mein Mann oder ich zuhause sind. Das ist heilig, auch für die Kinder.

Inwiefern ist Vereinbarkeit für dich – insbesondere in deiner Rolle als Unternehmerin, COO oder als Co-Präsidentin bei “WE/MEN” – bei der Arbeit ein Thema?
Mein persönliches Vereinbarkeitsproblem habe ich durch meine selbstständige Tätigkeit gut lösen können. Da ist selbstbestimmtes Arbeiten kein Problem. Was mich aber schon besorgt ist, dass so viele Frauen tiefe Teilzeitpensen haben und deshalb weniger verdienen und entsprechend schlechter fürs Alter vorsorgen können. Die Vorsorge ist eng an die Erwerbstätigkeit gebunden und viele Frauen haben weder eine Pensionskasse noch eine Säule 3a. Das Problem der Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen wird die Schweiz in den nächsten Jahren anpacken müssen, nur schon wegen des grossen Fachkräftemangels, auf den wir zusteuern.

Was ist das ideale Pensum und warum?
Das ist sehr individuell und abhängig von der Lebenssituation, in der man sich befindet. Idealerweise sollte eine Frau über ihr ganzes Erwerbsleben gesehen mindestens in einem 70% Pensum gearbeitet haben, damit ihre Vorsorge gesichert ist.

Als Mama von zwei Kindern kennst du sicherlich die Problematik der hohen Krippenkosten. Wie habt ihr das damals gelöst?
Ja, schlimm! Ein Kind für drei Tage Kita kostete damals 2500 Franken, dazu kam der ganze Stress im Newsjournalismus. Es war tatsächlich so, dass wir irgendwann die Rechnung gemacht haben, ob es sich «lohnt», dass ich arbeiten gehe. Nach Steuern (da wir ja immer noch keine Individualbesteuerung kennen) habe ich nämlich noch 900 Franken im Monat verdient. Ich habe damals leider gekündigt, das würde ich heute nicht mehr machen. Mir ist so eine grosse Lücke in meinen Finanzen entstanden.

Hat sich deine Karrierelaufbahn nach der Geburt des ersten Kindes verändert? Falls ja, wie?
Ja sehr, ich wurde eigentlich unaufgefordert nur für 60% zurückerwartet und ich musste einen riesigen Spagat machen zwischen Job und meinem kleinen Kind. Ich habe natürlich immer mehr als 60% gearbeitet, oft sass ich mit dem Laptop und dem Kind daneben in der Küche. Ich fand es sehr schwierig, dass sich kaum jemand an meiner Arbeitsstelle in mich hineinversetzen konnte, denn junge Mütter gab es damals kaum im Betrieb. Mein Vorgesetzter brüstete sich gar, dass er sich als junger Vater nachts immer schlafend gestellt hatte. Die Anfangszeit, in der man wenig schläft und immer ein wenig wie ein Zombie rumläuft ist körperlich und seelisch anstrengend. Einerseits muss man sich in der Mutterrolle zurechtfinden, andererseits muss man sich häufig gerade in dieser Zeit bei der Arbeit beweisen, um nach der Mutterschaftspause am Ball zu bleiben. Das erste Jahr, ja die ersten drei Jahre, sind streng bis sie aus dem Kleinkindalter raus sind, aber auch wunderschön. Denke trotz allem gerne an die Zeit zurück.

Rollenverteilung zuhause: Wie schaut das bei euch aus? Seid ihr im gleichen Rahmen für die Kids und die damit verbundene Organisation im Alltag zuständig?
Früher nicht, da hatten wir eine viel traditionellere Aufteilung und ich hatte einen grossen Teil der Mental Load dazu – das hat sich nun geändert. Mein Mann packt genauso Znüni, organisiert Geschenke oder denkt an die Schwimmsachen. Anders ginge es jetzt auch nicht mehr.

Welchen Rat gibst du deinen Töchtern (und anderen Mädchen) für ihr späteres Berufsleben?
Do what you love! Es ist für mich wichtig, dass sie einen Beruf wählen, den sie mit Herzblut leben, das Finanzielle kommt von alleine und ist auch nicht alles. Eine weise Frau hat mir als Teenager einmal gesagt: «Nadine, schau, dass du immer dein eigenes Geld verdienst, damit du nicht um ein paar neue Schuhe betteln musst.» Daran habe ich mich gehalten. Ich würde mir natürlich erhoffen, dass das Einkommen meiner Mädchen dann auch ausreicht um den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen und dass sie einmal ein unabhängiges, selbstbestimmtes Leben führen dürfen, auch als Mütter.

Awina setzt sich mit zweckgebundenen Krediten zur Kita-Finanzierung für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf & Familie ein. Wie aber sieht Vereinbarkeit eigentlich im Alltag aus? In der Serie «Hey, Mama», «Hey, Papa» sprechen berufstätige Eltern offen über ihre Erfahrungen und Herausforderungen als Working Parents und geben Einblick, wie sie persönlich Kind und Karriere unter einen Hut bringen.

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