«Hey, Mama» Gespräch mit Smadar Hill

Dürfen wir vorstellen?

Smadar Hill ist Primarlehrerin, Mitglied des Schulrats Primarstufe Thierstein in Basel sowie Mitglied der Geschäftsprüfungskommission (GPK) der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt.
Smadar und ihr Mann haben zwei Buben.

Smadar, Hand aufs Herz: gibt es die Balance zwischen Familie und Beruf? 

Mein Beruf vermischt sich fest mit meinem Familienleben. Das hat Vor- und Nachteile. Für mich gehören Familie und Beruf zusammen. Es ist ein kontinuierlicher Balanceakt, mit Höhen und Tiefen und Fangnetz.

Was sind für dich als «Working Mom» im Alltag die grössten Herausforderungen?

Wenn meine eigenen Kinder krank sind, dann gilt es die minutiöse Alltagsplanung in Windeseile neu auszurichten. Unsere alltägliche Logistik ist anspruchsvoll und alle «Störungen» machen das einfach noch aufwendiger und anspruchsvoller. Es wäre toll, wenn man sich beamen könnte 😉 Während der Corona Zeit war es einfacher. Viele Sitzungen und Weiterbildungen haben online stattgefunden. Das hat meinen Alltag enorm entlastet. Meine eigenen Kinder gehen leider nicht wirklich gerne zur Schule. Eine Lehrerin als Mama zu haben macht das auch nicht einfacher.

Was sind Momente im Leben deiner Söhne, die du auf keinen Fall verpassen willst?

Zum einen alle planbaren Anlässe wie Geburtstage, Abschlussfeiern oder ein Eishockey-Turnier. Ich habe bei beiden Jungs zugeschaut als sie ihre ersten Schritte gemacht haben. Solche Momente sind sehr berührend. Vor allem aber will ich keinen der Zeitpunkte versäumen, in dem einer meiner Jungs mich braucht, weil das Herz schwer und der Kummer gross ist. Diese – oft stillen – Situationen, in welchen die Intuition und das Gespür der Eltern gefragt ist, in diesen will ich für meine Kinder da sein.

Du bist den ganzen Tag von Kindern umgeben, du arbeitest mit Kindern, du spielst mit Kindern, du bringt Kinder Wichtiges fürs Leben bei. Zudem kümmerst du dich vor und nach der Arbeit und am Wochenende um deine eigenen Söhne. Da braucht es doch mal einen Break.  Wie nimmst du dir diese Pause?

Ich finde Erwachsene grundsätzlich viel anstrengender als Kinder. Ich liebe meinen Beruf; insbesondere das Kerngeschäft Unterricht. Kinder sind wundervoll! Sie sind offen, neugierig, spontan, liebevoll und ehrlich. Sie sind laut und wild und ruhig und sensibel und sie sind nicht nachtragend. Wir Erwachsenen sollten uns immer mal wieder an Kindern orientieren. Aber ja, Auszeiten tun gut und sind wichtig. Ich habe meine Hobbies und schaue, dass ich mich stetig weiterbilden kann. So lerne ich immer wieder Neues, kann mich austauschen und weiterentwickeln.

Wie lebst du Vereinbarkeit?

Mit viel Liebe zu meinen Kindern und meinem Mann, mit viel Geduld und Mut und Nerven, mit grosser Dankbarkeit, mit Lachen und zwischendurch auch einem Donnerwetter oder ein paar Tränen. Mit einem liebevollen und unterstützenden Umfeld und einem wunderbaren Beruf, den ich auch nach 21 Jahren noch immer über alles liebe. Schoggi und Prosecco helfen auch ;-).

Seid ihr ein eingespieltes Team oder gibt es Dinge, wo du dir wünschst, dass Männer oder konkret dein Mann noch mehr anpacken?

Nach fast 20 Jahren Partnerschaft sind wir ein wirklich gut eingespieltes Team. Jeder macht das, was er gut kann und gerne macht. Mein Mann macht den Grosseinkauf und die Wäsche und kocht am Wochenende (zum Glück!). Er ist aktiver Teil im alltäglichen Hobby-Bring und Hol-Service und des Hausaufgabenbetreuung-Teams. Für unsere Jungs ist er immer dann da, wenn die Mama mal ganz fest blöd und unbrauchbar ist. Ich fühle mich in vielen Dingen von ihm unterstützt. Trotzdem wünsche mir sehr, dass mein Mann in den Alltagsdingen aktiver mitmacht und MITDENKT. Kürzlich habe ich in einem Blog ein Beispiel für solche Situationen gelesen. Der Mann packt zwar die Sporttasche des Kindes, aber daran erinnern muss ihn die Frau. Voilà, genauso ist es bei uns – in 100 Dingen im Alltag. Jeden Tag! 100 Prozent arbeiten und dann auch noch die Kommandozentrale in einem 4-Personen-Haushalt zu führen ist anspruchsvoll und herausfordernd. Dafür mehr Wertschätzung und Achtung zu erhalten, würde mir gut tun. Nicht nur von meinem Mann oder den Männern. Generell habe ich oft das Gefühl, dass eine hochprozentig berufstätige Frau mit grosser Selbstverständlichkeit auch Kinder, Haushalt und Partnerschaft gebacken kriegen soll. Weil sonst könnte sie ja nicht so ein grosses Arbeitspensum haben. Gäll? Ehhh, nei?!

Welches sind die Themen, die Kinder in der Primarschulzeit bewegen?

Das ist sehr abhängig vom Alter und den sozio-demografischen Merkmalen der Kinder. Aber die grossen Themen wie Freundschaften, generell Beziehungen (Eltern, Peers, Familie) beschäftigen die Kinder in jedem Alter. Viele Kinder haben ein grosses Mitteilungsbedürfnis und erzählen gerne und viel. Richtig zuzuhören ist wichtig. Wenn Kinder im eigenen Zuhause kein Gehör für ihre Anliegen bekommen, dann kann die Schule hier vieles auffangen. Aber dafür braucht es natürlich sensible Lehrpersonen. Bei uns zu Hause sind zurzeit gerade Pokémon, der Sinn und Zweck von Französisch-Prüfungen und Hausaufgaben, die bevorstehenden Geburtstage, der Krieg in der Ukraine und das Abschlusstheater aktuell.

Als top pädagogisch ausgebildete Person: was können Eltern ihren Kindern beibringen, damit deren Verhalten die Vereinbarkeit und die Balance unterstützt? Selbständigkeit?

Selbständigkeit auf jeden Fall! Im Berufsalltag sehe ich immer wieder Fälle von gelernter Hilflosigkeit. Wenn die Eltern ihren Kindern alles abnehmen, wie soll ein Kind da lernen Dinge selbst zu erledigen? Vielen Kindern fehlen durch das gut gemeinte Verhalten der Eltern wichtige Grundkompetenzen. Auch das Selbstvertrauen, welches für das Lernen so wichtig ist, kann sich so nur schwer entwickeln. Wir zeigen unseren Jungs immer wieder auf, was es heisst Kinder zu haben und gleichzeitig viel zu arbeiten. So erwarten wir, dass sie jetzt (im Primarschulalter) auch anpacken und im Haushalt mithelfen. Mama und Papa führen keinen Club Mediteranée und wir sind auch kein gentil animateur / gentille animatrice Duo. Wir verbringen viel Zeit mit ihnen und versuchen die Bedürfnisse der Kinder wann immer möglich ins Zentrum zu stellen. Aber das ist einfach nicht immer möglich. Diese Einsicht ist ein langer Prozess. Kinder brauchen Liebe, Lob, Bestätigung und Zuwendung und dabei auch klare Grenzen. Die Antinomie zwischen Behüten und Freigeben gilt es auszuhalten; es braucht beides. Geben wir ihnen Aufgaben, an welchen sie wachsen können, seien wir Vorbilder und halten unsere Beziehungen konstant. Kinder brauchen Freiräume genauso wie ein sicheres Nest. Es ist Beziehungsarbeit.

Aus Lehrersicht: Was ist das wichtigste, was du den Kindern in ihrer Primarschulzeit für ihre berufliche Zukunft beibringen möchtest?

Selbständigkeit, Selbstvertrauen, Mut, Offenheit, Lernstrategien, vernetztes Denken, Auftrittskompetenzen, Kommunikationsmittel. Ich wünsche mir, dass meine Schüler*innen in den drei Jahren bei mir einen Rucksack voll mit «life skills» packen können und dass sie nie die Freude am Lernen und die Neugier für die Welt verlieren.

Nach wie vor wird häufig gesagt… Jungs sind wild, frech und gut in Mathe und Mädels sind brav und gut im Sprachen Lernen. Was sagst du dazu? Und wie meinst du kann man als Eltern diesem Klischée entgegenwirken?

Jungs sind häufig extrovertierter, Mädchen können sich oft besser anpassen. Es betrübt mich immer wieder aufs Neue, wie starr die Rollenvorstellungen in unserer Gesellschaft immer noch sind. Wir beklatschen und loben die Mädchen dafür, dass sie sich anpassen und ihre Bedürfnisse zurückstellen, dass sie ihr Verhalten auf unsere Erwartungen ausrichten. Und als erwachsene Frauen müssen wir ihnen dann krampfhaft eintrichtern, dass sie doch bitte selbstbewusst, unabhängig und selbstbestimmt durchs Leben gehen sollen. Und Knaben empfinden wir als störend, weil sie laut sind und sich viel bewegen? Also bitte auch stillsitzen und dann nachher ein Bewegungsförderung Programm installieren, weil sich die Jugend zu wenig bewegt? Das ist doch absurd! Wir sollten Kinder generell einfach besser aushalten. Sie sollen Regeln, Werte und Normen kennenlernen und diese auch leben können. Aber innerhalb dieses Rahmens sollen alle Kinder spielen, streiten, lachen, brüllen, in der Erde graben, Matsch herstellen, bauen, rutschen, klettern, quietschen, zickeln und hundert andere Sachen machen dürfen. Denn nur dadurch erleben Kinder das Leben mit allen Sinnen und nur so werden die Grundkompetenzen, die life skills und Sozialformen erlernt. Wenn wir Kinder in diese klischeehaften Rollenbilder pressen, dann nehmen wir ihnen einen grossen Teil des möglichen Lernfeldes. Es gibt heute zum Glück immer mehr Kinderbücher, welche diese Rollenklischees aufbrechen und sich auch mit Diversität und Inklusion beschäftigen. Je offener die Haltung der Eltern, desto freier kann sich ein Kind entwickeln und anderen begegnen.

Awina ist die Partnerin während der Rushhour of Life. Sie unterstützt junge Familien bei der Kita- Finanzierung und setzt sich für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf & Familie ein. Wie aber sieht Vereinbarkeit eigentlich im Alltag aus? In der Serie «Hey, Mama», «Hey, Papa» sprechen berufstätige Eltern offen über ihre Erfahrungen und Herausforderungen als Working Parents und geben Einblick, wie sie persönlich Kind und Karriere unter einen Hut bringen.

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