Ich habe keine Lust auf noch ein Kind

Es gibt grosse und kleine Liebes-Baustellen. Er schnarcht – nicht schön, aber ein Grund sich zu trennen? Eher nicht. Doch was, wenn ein ansonsten glückliches Paar beim Kinderwunsch verschiedener Meinung ist? Wenn sie keine Lust hat auf noch ein Kind, aber er schon?

Als wir vor zwei Jahren unseren Windeleimer entsorgt haben, war das für mich ein bahnbrechender Moment: Windelära abgehakt, dachte ich triumphierend – und machte mir und meinem Mann einen Wein auf, um darauf anzustossen. Doch Tom seufzte nur tief und sagte: „Ach, vielleicht hätten wir ihn lieber auf den Dachboden stellen sollen…“ Ich guckte ihn fragend an: „Aber wozu?“ Er entgegnete: „Man kann ja nie wissen… Vielleicht bekommen wir doch noch mal Lust auf ein zweites Kind…“ „Aber Schatz, wir wollten doch nur eines“, entgegnete ich und dachte damals noch an einen einmaligen Moment.

Doch sobald wir ein frischgeborenes Baby sahen, er die Kleidungsstückchen in Händen hielt, die Emilia zu klein geworden waren oder als unsere Tochter in den Kindergarten kam – jedes Mal kamen diese bedeutungsschweren Seufzer, die nichts anderes ausdrücken sollten als: „Wollen wir nicht doch noch eines?“ Nicht, dass ich nicht auch so meine Momente habe, wenn ich beispielsweise Videos einer sehr viel jüngeren Ausgabe unserer Tochter anschaue, wie sie pausbäckig durch die Welt schwankt. Aber bei mir ist das eher wohlwollende Nostalgie. Denn Fakt ist: Wir waren uns einig, nur ein Kind bekommen zu wollen. Mich hat der Alltag mit Kind in dieser Entscheidung nur bestärkt.

Tom offenbar nicht, denn bei den Seufzern blieb es nicht. Er wünsche sich ein weiteres Kind, sagt er mittlerweile offen. Ich frage dann jedes Mal: „Hast du vergessen, was wir abgemacht haben und vor allem wie unfassbar anstrengend die ersten Monate und Jahre waren?“ Ich habe das nicht. Die Geburt, das erste schmerzhafte Stillen, die Koliken, das Nächte-Durchmachen. So lange keine Zeit mehr für Sex, gute Gespräche, gemeinsames Kochen, ausgehen mit Freunden – stattdessen Kindergeschrei als Geräuschkulisse. Und dann, als unsere Tochter endlich in die Kita konnte und ich zurück in meinen Job, machte uns Corona einen Strich durch die Rechnung. Ich war natürlich wieder diejenige, die zurücksteckte.

„Ich will Sex wie früher – nicht mit dem Ziel, dass die Periode ausbleibt!“

Bevor hier jetzt ein falscher Eindruck entsteht: Ich bin keine Kandidatin für Regretting Motherhood. Ich finde es toll, Mama zu sein. Diese warme Liebe, die ich für meine Tochter empfinde, ist mit nichts zu vergleichen. Ich könnte Tausende von schönen Momenten mit ihr aufzählen. Und selbst die Schattenseiten möchte ich nicht missen. Bevor ich Mutter wurde, konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich so viel aus diesem neuen Leben ziehen würde: Selbstvertrauen, Stärke, Lebensfreude, Selbsterkenntnis, Dankbarkeit.

Aber: Ich bin glücklich so wie es JETZT ist und will, dass alles so bleibt. Ich geniesse meine kleine Familie und spüre keinerlei Bedürfnis in mir, noch einmal Mutter zu werden. Ich habe keine Lust auf noch ein Kind: Ich will keine Brei-Gespräche mehr, keine zähen Vormittage ohne Ansprache an einen Erwachsenen und keine hektischen Schweissflecken, nur weil mich das Schreien meines Kindes stresst. 

Vor allem aber liebe ich es, mich selbst und meinen Mann wieder zurückzubekommen. Klar, Emilia ist für immer ein Teil von uns, das wird immer so bleiben. Aber wieder ein Stück weit ein eigenes Leben führen zu können, wieder ein Paar zu sein – das tut so gut. All die kleinen Freiheiten, die es mit sich bringt, dass Emilia schon mal eigene Wege geht, Verabredungen hat, in ihrem Zimmern spielt, ich will sie nicht mehr missen. Ich frage Tom dann: Merkst du nicht, dass wir wieder mehr reden, miteinander lachen, uns necken und küssen? Mir fehlte das. Ich will Sex wie früher und nicht mit dem Ziel, dass hoffentlich meine Periode ausbleibt.

Auch die Vormittage, an denen ich jetzt wieder im Büro arbeite, gefallen mir. Ich mag das konzentrierte Arbeiten, den Kontakt mit den Kollegen, Aufgaben konstruktiv abhaken zu können. Das gibt mir Kraft und ich habe kleine Sehnsuchtsschauer nach meiner Tochter und freue mich, sie von der Betreuung abzuholen. Ich habe Angst davor, dass ich ein zweites Kind dafür verantwortlich mache, diese Freiheit wieder aufgegeben zu haben. 

Natürlich rede ich mit meinen Freundinnen darüber und mit meiner Haltung scheine ich zumindest nicht komplett alleine zu sein. Vielleicht müssen wir uns generell fragen, warum einige Frauen keine Kinder (mehr) möchten. Neben den individuellen Gründen macht es die Gesellschaft uns Frauen nach wie vor nicht leicht, Beruf und Mutterschaft zu vereinbaren. Es wird immer noch vorausgesetzt, dass die Mutter (zunächst) die Verantwortung übernimmt. Dann heisst es: „Kinder brauchen in den ersten Jahren nun einmal mehr die Mutter als den Vater.“ Tom sagt zwar, er würde mir helfen, wo er kann – und ich glaube ihm – aber es ist mein Körper, der durch die zweite Schwangerschaft müsste, mein Job, den ich wieder zurückstellen würde, meine Karriere, die auf Eis liegt. Wir könnten es uns andersrum gar nicht leisten. Tom ist derjenige, der die Wohnung abbezahlt und den Grossteil des Finanziellen stemmt. Mitten in der Rush Hour of Life gibt er Vollgas, während bei mir erneut Stillstand herrschen würde.

„Was ist, wenn die Sehnsucht nach dem Kind grösser ist, als unsere Liebe?“

Die Kinderfrage hat sich immer mehr zum Sprengstoff für unsere Beziehung entwickelt. Ich frage mich oft: Genügen Emilia und ich ihm nicht? Wir sind doch zwei gute Gründe, ein zufriedenes Leben zu haben? Tom bejaht das, aber gleichzeitig sagt er, dass vier doch auch eine schöne Zahl für eine Familie sei. Und wenn ich sehe, wie liebevoll er mit Emilia ist, dann schmerzt es mich, dass ich ihm die Möglichkeit verwehre, für ein weiteres Kind ein grossartiger Vater zu sein. Er sagt dann immer: „Sag niemals nie. Vielleicht denkst du in drei Jahren noch einmal anders und willst plötzlich doch noch ein Kind…“ Kann sein. Nur mit dieser Erwartungshaltung möchte ich nicht leben und denken, dass er quasi permanent im Stillen hofft, dass ich es mir doch noch anders überlege.

Ich habe ihm jetzt vorgeschlagen, zu einer Paartherapie zu gehen. Und er hat zugestimmt. Mal sehen, was das bewirkt. Meine grösste Befürchtung ist, dass über diese Uneinigkeit unsere Beziehung in die Brüche geht. Ich habe mal gelesen, dass so etwas in vielen Fällen zur Trennung führt. Wenn nicht sofort, dann nach einigen Jahren. Weil man die Sehnsucht nach einem Kind nur schwer loslassen kann. Sie wird lediglich unterdrückt. Ich wünsche mir, dass unsere Liebe alles besiegt – aber gleichzeitig habe ich Angst, dass Toms Wunsch nach einem Kind auf die lange Sicht grösser ist als die grösste Liebe. 

Awina setzt sich aktiv für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Wir unterstützen junge Eltern wie dich während der Phase, in der alles gleichzeitig zu passieren scheint. Wir sind in eurer «Rush Hour of Life», wo ihr Familie, Partnerschaft, Karriere und noch so viel mehr unter einen Hut bringen möchtet, an eurer Seite – weil wir wissen, dass ihr genau in diesem Lebensabschnitt besonders viel Support brauchen könnt.

Diesen Beitrag teilen